Digitale Medien und performative Empirie



Die digitalen Medien – das sind Internet, E-mail, Big Data Cloud, Mobiles, Apps, Social media – sind anscheinend nützlich. Tatsächlich stellen sie sich auch als problematisch heraus, z.B. werden an Flughäfen die Gesichter der Passagiere für das biometrische Zugangssystem gescannt. Kritiker halten dies für eine Bedrohung der Privatsphäre des Passagiers. Die Reisenden, die Fluggesellschaften und die Flughafenbetreiber gewichten ein Boarding, das dank Biometrie schneller möglich ist, jedoch höher als die Wahrung der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung.

Über die Hypes, die für Algorithmus, Künstliche Intelligenz und Robotik festzustellen sind, wird in den Zeitungen tendenziell eher als unabänderliche Entwicklungen berichtet, als dass sie kritisch kommentiert werden. Es fehlt dafür an Zeit, an Wissen, an Diskurs – und an Interesse. Es sind drängende Perspektiven, wie z.B. die des «Transhumanismus», und ethische Dilemmata, die im Diskurs über digitale Rationalität für Medizin, Recht, Politik, Wirtschaft und Bildung auf den Punkt zu bringen sind.

Der Informations- und Meinungsaustausch ist dank Internet, Smartphones und Digitalkameras bequem und nahezu weltweit möglich. Dafür unabdingbar ist der globale Verbund der Telefoniefunknetze, auf dem die Geschäftsmodelle der Anbieter der Social media aufbauen. Die digitalen Medien entsprechen eindeutig dem persönlichen Bedürfnis, bilateral Information oder Meinung auszutauschen. Doch erst recht bedienen es die Social media, da sie die Darstellung von Erlebnis und Emotion durch eigene Fotos, Video-Filme und Ton-Dokumente ermöglichen.

Dem freien Gebrauch der Social media steht deren Gate keeping entgegen, demzufolge in dem einzelnen Medium nur mit Anderen kommunizieren kann, wer als Benützer bei dem einzelnen Anbieter registriert ist. Damit ist der User einer medialen Community angeschlossen, und darin ist er im Rahmen seiner selber festgelegten Präsenz für andere User visibel und ansprechbar. Jeder User «bezahlt» mit seinen digitalen Daten für die Dienstleistung des einzelnen Social media-Anbieters. Zum Gebrauch der Social media ist anzumerken, wie oft sich dadurch auch Rufmord, Rassismus oder Hass manifestiert.

Zu den digitalen Medien drängt sich die Frage auf, ob sie sich problematisch gewandelt haben: von Smart tools der Informationsbeschaffung zu Werkzeugen der Überwachung? Mobiles sind womöglich der historische Triumph des Gefängnisses, weil die panoptische Überwachung in jeder Funkzelle implantiert ist. Die Handhabung digitaler Medien ist auch anders als edel motiviert, und die Nonchalance just bei der Datensicherung wird ausgenutzt: Militaristischer Cyber war und politische Deep fakes ebenso wie proto-kriminelles Darknet und Hacking von Firmen unterminieren die offene Gesellschaft.

Neuerdings kommt zu den bekannten Herausforderungen eine weitere hinzu: Wie wird Künstliche Intelligenz geführt? Für den Umgang mit Robotern nützt die Botschaft: Sie tun nur das, wofür sie programmiert sind, oder man setzt sie auf die Werkseinstellungen zurück. Bei Künstlicher Intelligenz erscheint dasselbe als nicht machbar, weil es sich dabei um sogenannte lernende Systeme handelt, die Aufgaben selbständig bearbeiten und Entscheide anhand ihrer Lernerfahrung treffen.

Die digitale Technologie und die sie nützenden Geschäftsmodelle verbreiten eine neuartige Wirklichkeit, weltweit. Die Möglichkeiten dank Bits, Bytes und Algorithmen erzeugen, befeuern und konfigurieren eine Performation der Selbst-Wahrnehmung des Individuums: Dieser Digital Turn ist als eine diskrete, obgleich habituelle Veränderung zu konstatieren. Es üben dabei die Updates der Devices, Social media und Apps einen Handlungsdruck aus, um nämlich den gewohnten Komfort beizubehalten: Sie wirken wie Systemimperative. Digitale Kommunikationen machen die Verständigung freilich nicht einfacher.[1] Dennoch ist der Gebrauch der Digital devices innert 30 Jahren zur alltäglichen Commodity geworden. Dank der Updates realisiert jeder User den Digital Turn bequem, allein und fortlaufend.




© Lic. phil. Hans-Peter Fleury, 2020




[1]  «Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommunikationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Beziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses semantische Potenzial, ermangeln aber die für eindeutige Kommunikationen erforderliche logische Syntax.» – so lautet das vierte metakommunikative Axiom, zitiert aus: Watzlawick Paul, Beavin Janet H., Jackson Don D.: Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern: Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, 1/1969, 13/2017, S. 78.



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