Ökonomie und/oder Moral, geht das weiter so?

 

Das dominierende Paradigma der ökonomischen Theorie baut auf der These auf, dass Ökonomie und Moral voneinander getrennt sind. Diese Prämisse ist auch in den Sozialwissenschaften und in der praktischen Philosophie weitverbreitet. Nicht nur systemtheoretische Ansätze, welche die Autonomie der einzelnen Systeme, wie z.B. der ökonomischen Praxis des Marktes, nach eigenen konstitutiven Regeln betonen, sondern auch der Kommunitarismus vertreten die Trennungsthese. Ein Ansatz der Wirtschaftsethik beruht ebenfalls auf der These, dass die ökonomische Praxis moralfrei ist und moralfrei sein sollte. Die Trennungsthese scheint aber nicht der ökonomischen Praxis selbst zu entspringen, denn diese ist de facto von Werten und Normen imprägniert. Sie wird von ökonomischen Praktikern, zumal solchen in Führungsverantwortung, zurückgewiesen.

Es lässt sich argumentieren, warum diese Trennungsthese falsch ist, und dies ohne in einen vordergründigen Anti-Ökonomismus zu verfallen. Ohne ökonomische Rationalität wäre es wohl um die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung schlecht bestellt und die Chancen für eine humanere und gerechtere Weltgesellschaft würden schwinden. Es geht also nicht um die Ablösung ökonomischer Rationalität, sondern um die Grundlagen einer humanen Ökonomie, die sowohl den Herausforderungen der Globalisierung als auch den berechtigten Anliegen der lokalen Bürgerschaft und der Angestellten der Firmen und Gemeinden gerecht wird.

Der ideale ökonomische Markt basiert auf der vollständigen Konkurrenz. Das heisst, dass die Marktteilnehmer über die angebotenen Güter vollständig informiert sind, diese frei gehandelt werden können und dass die Transferkosten der Güter nicht ins Gewicht fallen. Mit der Technologie des Internets sind diese Prinzipien leichter zu realisieren als je zuvor.

Märkte haben zum einen eine Steuerungs-, zum anderen eine Informationsfunktion. Diese besondere Leistungsfähigkeit von Märkten kann durch andere Verteilungs- und Produktionsverfahren nach aller Erfahrung nicht ersetzt werden. Die Trennungsthese hängt mit dieser Leistungsfähigkeit eng zusammen: Es wird für das Funktionieren von Märkten nicht vorausgesetzt, dass die Individuen anderes als an ihren eigenen Interessen verfolgen.

 

  • Wie es in der Geschäftswelt heute so läuft

Die Anforderungen von heute an Manager sind komplex, manchmal über-komplex. Gleichzeitig hat er vieles zu steuern, überprüfen, antizipieren, initiieren sowie zu kommunizieren. Es ist jeder Leitungsverantwortung aufgegeben: Wer fragt, führt. Interaktion jedoch beansprucht immer Aufmerksamkeit und Zeit.

Auch ausserhalb der Unternehmen steht die Welt nicht still. Es herrscht in Europa – ökonomisch, gesellschaftlich, politisch betrachtet – gravierende Verunsicherung. Krisensymptome treten in manchen Branchen auf, Banken haben und machen Mühe, einzelne Politiker denunzieren die Rechtstaatlichkeit und den Souverän. Kurzum, das Vertrauen in den guten Verlauf der Dinge und in das Gedeihen der persönlichen Beziehungen ist herausgefordert; das gegenseitige Vertrauen ist, leider, oftmals ungewiss oder gar brüchig geworden.

In die Geschäftswelt, aber auch in die Lebenswelt greifen das Internet und die digital getriebene Planung, Administration, Kommunikation, Telematik, etc. massiv ein. «Alles digitalisieren» ist das Gebot der Stunde, damit die Produktion oder Dienstleistung konkurrenzfähig sei und bleibe. Andererseits, Internet und Telematik bieten eine Bequemlichkeit und Effizienz an, der Hinz und Kunz kaum widerstehen. Ein «online»-Schuhkauf ist dafür symptomatisch und schon Usus.

Die akzelerierten Usanzen an den Märkten und bei Bauprojekten halten die Verantwortlichen unerbittlich auf Trab, bis zum Mehr-geht-nicht-mehr. Die Statistik in der Schweiz zumal der psychosomatischen Erkrankungen dürfte eine beängstigend zunehmende Tendenz ausweisen. Die Zeit für Geschäftskontakte der Mitarbeiter, welche dank der digitalen Medien ständig möglich sind, haben Firmen mittels Direktiven zum Internet- und E-mail-Gebrauch begrenzt.

Wissen avanciert in der postindustriellen Gesellschaft, so Tourraine, zur Produktivkraft und die soziale Organisation des Wissenserwerbs und der Wissensverbreitung bestimmen die wirtschaftliche Entwicklung. Andererseits, mit Blick auf die Fachliteratur zum Qualitätsmanagement wie ISO 9001:2015 o.ä., so ist festzustellen, dass das handelnde Subjekt abwesend ist. Denn es ist komplett funktional beschrieben. Das ist mehr als eine redaktionelle Haltung, das ist signifkant für einen inhumanen Fokus. Ist dies nach „Best Industrial Practices“ der Weisheit letzter Schluss?

 

  • Persönliche Integrität und postindustrielles Management

Lebensthemen fordern immer wieder heraus. Das ist zentral für Management-Erfahrung und philosophische Praxis, das hat etwas von einem vergleichbaren Dritten, einem «Tertium comparationis», für Management und Philosophie. Wie auch immer, Betriebswirtschaft allein ist es wohl nicht, welche das unternehmerische Bestehen sichert.

Es ist auffällig, wie sehr Handlungsdirektiven Platz in Werken zur Wirtschaftsethik, respektive zur Unternehmensethik einnehmen. Ihre Herleitung eines ethisch angemessenen Handelns und Verhaltens wie auch ihre Behandlung des Umgangs mit Korruption, Whistle blowing, Mobbing füllen Fach- und Lehrbücher. Diese Inhalte wirken wie nachgelieferte Korrektive zum Wertekosmos, den sich der Berufsnachwuchs während Studium und Praktika angeeignet hat.

Dass man die Trennungsthese auch als den Anfangspunkt der heute öffentlich und innerbetrieblich in Erscheinung tretenden Verunsicherung sieht, legen einem die jüngsten Publikationen zur Reform des Kapitalismus nahe. Darin werden nicht ideologische Gegensätze und Parolen reaktiviert, es wird auf die sozioökonomische Einheit Wert gelegt. Für diese seien kulturelle Werte, Haltungen und Handlungsweisen namhaft zu machen, zu lehren und zu praktizieren. Ein «humanistischer Kapitalismus» ist vielmehr das Motiv der Autoren, und sie setzen sich keineswegs gegen die ökonomische Rationalität ein.

 

© Lic. phil. Hans-Peter Fleury, 2016



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